Der Totensucher by Chris Karlden

Der Totensucher by Chris Karlden

Autor:Chris Karlden [Karlden, Chris]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2017-08-17T22:00:00+00:00


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»Wer ist das dritte Mordopfer?«, fragte Franziska.

»Dr. Manfred Ettinger, zweiundsiebzig Jahre alt, war von Beruf Psychiater in freier Praxis. Zudem war er als Gerichtsgutachter tätig«, antwortete Bogner und fasste kurz zusammen, was sie bisher in Bezug auf den neuen Mord wussten. Franziska setzte sich auf den Besucherstuhl neben Speers Schreibtisch und hörte ihm aufmerksam zu. Speer wusste, dass es seine Exfrau unglaublich viel Überwindung und Kraft kostete, sich in die kranken Seelen psychopathischer Mörder hineinzuversetzen. Aber nur so war es ihr möglich, in ihre Köpfe einzudringen und ein Täterprofil zu erstellen.

»Alle drei Opfer waren etwa gleich alt«, stellte sie fest, als Bogner mit seinem Vortrag fertig war. Sie stand auf und schrieb dieses Stichwort mit einem abwischbaren Stift auf das Whiteboard. »Außerdem nimmt er ihre Zungen mit. Es ist seine Trophäe, die ihn daran erinnern soll, dass er diese Menschen für immer zum Schweigen gebracht hat.«

»Wir glauben, das Herausschneiden der Zungen und das Ausstopfen der Münder mit Stroh könnten auf einen Verrat hinweisen, den die Opfer begangen haben«, sagte Bogner.

»Das ist aber nur eine Möglichkeit«, erwiderte Franziska. »Die Opfer könnten auch gelogen oder einen Meineid vor Gericht begangen haben. Im Mittelalter war das Herausreißen der Zunge die verbreitete Strafe für einen Lügner oder jemanden, der sich unberechtigterweise Hoheitsrechte, wie etwa das eines Richters, angemaßt hat. Der Verlust der Zunge war, sofern die Betroffenen die Prozedur überlebten, ein für jeden sichtbares Schandmal.«

»Er hat am Telefon gesagt, dass Rache sein Motiv sei«, warf Speer ein.

Franziska nickte. »Die Opfer haben ihm – oder jemandem, der ihm sehr nahestand – durch eine Lüge oder einen Verrat etwas so Grausames angetan, dass deren Tod ihm als einzig gerechte Strafe erscheint. Gibt es Grund zur Annahme, dass auch das letzte Opfer pädophil war?«

»Wir haben nichts gefunden, das darauf hindeutet«, sagte Tina.

»Dann fällt der Psychiater in diesem Punkt aus der Reihe.«

»Wie können Sie da so sicher sein?«, fragte Bogner.

»Wenn es etwas gäbe, das den Psychiater als Pädophilen bloßstellen würde, hätte der Täter es uns gezeigt«, erklärte Franziska. »Durch den Anruf im Wald wies er auf das Handy des Anwalts und die kinderpornographischen Fotos hin. In Rokovs Wohnung hinterließ er den geöffneten Safe mit eindeutigen Bildern und Videos.«

»Das würde bedeuten, dass es dem Mörder nicht nur darum geht, seine Opfer zu töten, sondern er will auf deren Schandtaten hinweisen«, überlegte Bogner. »Wir gehen deshalb davon aus, dass der Mörder als Kind missbraucht wurde.«

»Das muss nicht zwingend so sein«, entgegnete Franziska. »Zwischen den Opfern muss es eine Verbindung geben, und sie müssen ihm etwas angetan haben, das es in seinen Augen rechtfertigt, sie zu töten. Da der Psychiater kein Pädophiler war wie die anderen beiden, tötet der Mörder wahrscheinlich nicht, weil er als Kind missbraucht wurde, sondern aus einem anderen Grund, den wir noch nicht kennen.«

»Aber warum präsentiert er uns dann die ersten beiden Opfer als Kinderschänder?«, fragte Bogner.

»Er will unser Verständnis. Er kann uns nicht verraten, was sie ihm angetan haben, ohne uns auf seine Spur zu führen. Indem er uns aber die Opfer selbst als Straftäter zeigt, rechtfertigt er ihre Ermordung uns gegenüber.



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